Das doppelte Wunder

Von Christian Rotter

Annett Kaufmann machte den Halbfinaleinzug perfekt

Annett Kaufmann reckte den Zeigefinger in die Höhe und stieß einen spitzen Freudenschrei aus. In der deutschen Ecke wurde die Sieggarantin von ihren jubelnden Teamkolleginnen empfangen. Mit einem 3:1 gegen die favorisierten Inderinnen zog Deutschland beim olympischen Tischtennisturnier ins Halbfinale ein, in dem an diesem Donnerstag (20 Uhr) Japan wartet. „Ich bin überwältigt und überglücklich, dass wir im Halbfinale stehen“, sagte Kaufmann, die in ihren Einzeln die beiden Top-30-Spielerinnen Manika Batra (3:1) und Sreeja Akula (3:0) nicht einfach nur bezwang, sondern sie nach allen Regeln der Kunst auseinandernahm. Und das mit gerade einmal 18 Jahren. „Ich war frech und habe mein Spiel durchgebracht“, betonte Kaufmann, die auch in den – wenigen – brenzligen Situationen die Ruhe bewahrte: „Ich bin eine Kämpferin, die nie aufgibt.“ Nie aufgeben – das ist das Motto der deutschen Mannschaft, die in Paris auf zwei ihrer besten Spielerinnen verzichten muss. Nach dem Olympia-Aus von Ying Han (Achillessehnenriss) zog sich Nina Mittelham bei ihrem Zweitrunden-Aus im Einzel eine Bandscheibenverletzung zu. Yuan Wan vom Bundesligisten TTC 1946 Weinheim rückte in den Kader nach und meisterte die Aufgabe auch gegen Indien mit Bravour. Sie gewann das Auftaktdoppel an der Seite von Xiaona Shan und sorgte damit für das 1:0. „Es war wichtig für Annett, dass sie mit einer Führung im Rücken in ihr Einzel geht“, sagte Wan, die sich immer besser zurechtfindet und einige Male mit ihrem schnellen Rückhand-Topspin punktete. Der 27-Jährigen war es aber nicht unrecht, dass Kaufmann den Sack zum 3:1 zumachte und sie selbst nicht zu einem alles entscheidenden letzten Einzel antreten musste. „Annett ist ein Wunder. Was sie mit 18 Jahren spielt, ist einfach unglaublich“, lobte Wan die Landshuterin. Kaufmann ist in diesen Tagen von Paris ein echtes Phänomen. In der Weltrangliste wird sie nur auf Position 100 geführt, weil sie sich zuletzt auf ihr Abitur konzentrierte und keine internationalen Spiele bestritt. Insofern ist sie bei Olympia für ihre Gegnerinnen eine große Überraschung. Bislang hatte sie mit keinem Spielsystem Probleme. Auch gegen lange Noppen zog sie ihr Angriffsspiel konsequent durch.

Bundestrainerin Boros: „Annett hat fast fehlerfrei gespielt“

„Annett wusste genau, wann sie einen Ball kurz hinters Netz legen musste und wann sie angreifen kann. Ich musste in den Pausen gar nicht eingreifen“, so Bundestrainerin Tamara Boros über ihre Nummer eins. „Ich wusste, dass sie sehr gut spielen kann. Aber dass sie fast fehlerfrei spielt, ist unglaublich.“ Gegen Japan ist Deutschland wieder nur Außenseiter. Um Paris mit einer Medaille um den Hals zu verlassen, müsste viel zusammenkommen. Doch schon jetzt können sich die deutschen Tischtennisspielerinnen wie Siegerinnen fühlen. „Wir können im Halbfinale befreit aufspielen“, betonte Wan.